Das Deutsche Seminar der Leibniz Universität und das Literaturhaus Hannover richten zum Wintersemester 2022/23 die gemeinsame
Poetikdozentur NEUE DEUTSCHE LITERATUR ein. Gefördert wird das Kooperationsprojekt von der VGH Stiftung.
Die neu geschaffene Dozentur widmet sich neuen Schreibweisen unserer postmigrantischen und diversen Gesellschaft: NEUE DEUTSCHE LITERATUR fragt nach gegenwärtigen Schreibweisen, die eine Gesellschaft der Vielen als solche anerkennen, abbilden und adressieren. Die Poetikdozent:innen werden anhand dieses Anspruchs an ihr Werk ausgewählt – unabhängig von ihrer jeweiligen Identität und Herkunftsgeschichte.
Dem Auswahlgremium gehörten Vertreter:innen des Literaturhauses Hannover, des Deutschen Seminars der Leibniz Universität sowie als Gastjuror der Publizist und Autor Max Czollek an.
Lena Gorelik
Lena Gorelik wurde 1981 in St. Petersburg geboren und lebt seit 1992 in Deutschland, mittlerweile in München. Ihr Roman Hochzeit in Jerusalem (2007) war für den Deutschen Buchpreis nominiert, Mehr Schwarz als Lila (2017) für den Deutschen Jugendbuchpreis. 2021 erschien der Roman Wer wir sind. Regelmäßig schreibt Lena Gorelik Beiträge zu aktuellen gesellschaftlichen Themen, u.a. für die Süddeutsche Zeitung oder Die Zeit. 2022 erhielt sie den Literaturpreis „Text und Sprache“ des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft.
News. Blog. Material.
Aktuelles aus der Dozentur
Schreibweisen.
Stimmen aus der Literatur der Vielen.
„Ich habe mehr Privilegien, als je eine Person in meiner Familie hatte. Und trotzdem bin ich am Arsch. Ich werde von mehr Leuten gehasst, als meine Großmutter es sich vorstellen kann. Am Tag der Bundestagswahl versuche ich ihr mit dieser Behauptung 20 Minuten lang auszureden, eine rechte Partei zu wählen.“
„In meinem Leben gibt es zwei von jedem. Ein Leben vor dem Krieg und ein neues Leben danach mit Luli und den Kindern. Ich bin so glücklich, dass es mich noch gibt. Wenn ich nur nicht von dem spreche, was ich erlebt habe, ist alles gut. Kein Wort über meine Erlebnisse kommt über meine Lippen. Ich hoffe, meine Erinnerungen verschwinden, wenn ich nicht über über sie spreche. Aber manchmal wache ich nachts von Albträumen auf.“
„niemand wird wissen, von welchen rändern wir aus sprechen und dass wir darüber sprechen können, ändert nichts daran.“
„Je öfter sie mich nach zu Hause fragen und damit andere Länder meinen, nicht Deutschland, desto gewählter lasse ich meine Sätze klingen. Es dauert Jahre, bis ich in kurzen Sätzen denken kann, die kein an die richtige Stelle gesetztes Verb brauchen: Ihr Rassisten.“
„In Dresden machen sich immer alle über alles lustig, es ist zum Verrücktwerden. Man weiß meistens nicht, warum, aber man wird ständig angestarrt und verurteilt, und ich habe selbst in zwanzig Jahren nicht verstanden, welche Codes man kennen muss, um dort unsichtbar zu bleiben. Abgesehen davon, dass man weiß sein muss und nicht offensichtlich links sein darf.“
„Vielleicht sind das die Dschinns, die Wahrheiten, die immer da sind, die immer im Raum stehen, ob man will oder nicht, aber die man nicht ausspricht, in der Hoffnung, dass sie einen dann in Ruhe lassen, dass sie im Verborgenen bleiben für immer.“
„Ich verstand nicht, wie die Menschen dachten, die jetzt an der Macht waren. Wovon sollten wir leben? Heute ist mir klar, was sie im Sinn hatten. Wir sollten nicht länger leben. Aber es dauerte, ehe ich das begriff.“
„Meine Mitbewohner sagten, sie hofften, dass nach mir kein Ausländer einziehen würde. Das sagten sie, als wäre das eine ganz normale Aussage, die man ungestraft tätigen kann.“
„Du kannst überallhin und andere Menschen nirgends, das ist für dich so selbstverständlich, wie ins Theater zu gehen. MANCHMAL HALTE ICH DIESES PRIVILEG NICHT AUS. Und manchmal genießt du es bedenkenlos.“
„Seht nur, wie sie marschieren, die Wütenden und Besorgten, die gut Situierten und Zukurzgekommenen, die sich im Besitz der besseren Wahrheit meinen, einem Wir geschuldet, das nicht alle umschließt“
„ich fange an. das tamilische namensrecht: der vorname des vaters wird der nachname der kinder sein. sie tragen den namen des vaters, aber er trägt einen, den eines anderen. hier, in deutschland, endet diese linie. wenn wir kinder haben sollten, werden sie nicht meinen vor-, sondern den unseres vaters als nachnamen erhalten. mit uns endet dieses gesetz. wir sind das ende.“
„Ich bin nicht: die Ausgeburt der integrierten Gesellschaft. Ich bin nicht: das Mädchen, das ihr euch angucken könnt, um mitleidig zu erklären, ihr hättet euch mit den Migranten beschäftigt und es sei ja alles so dramatisch, aber auch bewundernswert. Ich bin nicht: das Mädchen aus dem Getto.“
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